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von Maxim Kireev, St. Petersburg
Stand: 19. August 2021, 18:06 Uhr
Lange Zeit hat die russische Führung über den Kampf gegen die Klimaerwärmung gelacht. Das ändert sich gerade radikal. Was ist passiert?

Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte sich der Kreml über die Klimapolitik westlicher Länder eher belustigt gezeigt. Nach dem Motto: Vielleicht sei der Klimawandel gar nicht so schlecht? Während seiner ersten Amtszeit hatte Präsident Wladimir Putin gewitzelt, die Russen müssten weniger für warme Kleidung ausgeben, während die Getreideernten höher ausfielen, wenn es in Russland ein paar Grad wärmer würde. Auch dass der Mensch maßgeblich mit seinen Treibhausgas-Emissionen zur Erwärmung der Erde beiträgt, war für den russischen Präsidenten längst keine ausgemachte Sache. Dafür seien vielmehr „kosmische Verschiebungen, für den Menschen unsichtbar“, verantwortlich, sagte Putin noch 2017. Manch Lokalgouverneur, wie der Regierungschef der Teilrepublik Jakutien, frohlockte zur gleichen Zeit, dass die höheren Temperaturen unwirtliche Regionen des Landes erschließbar machen würden.
Nur wenige Jahre später erlebt Russland inzwischen bereits den dritten Extremsommer in Folge, während in Jakutien und Sibirien riesige Waldflächen von Flammen aufgefressen werden. An diesem Wochenende nun meldete sich der russische Präsident nun plötzlich mit ganz anderen Ansichten zu Wort. Das Ausmaß und Art der derzeitigen Katastrophen seien „absolut beispiellos“. Es sei Blödsinn zu behaupten, Russland sei vom Klimawandel nicht betroffen, ließ er die Welt bereits vor Wochen wissen. Kurz darauf, bei seiner jährlichen Frage-und-Antwort-Show „Direkter Draht“ erklärte Putin, dass „nicht ohne Grund“ angenommen werde, dass der Mensch für die Veränderung des Klimas mitverantwortlich sei.
Tatsächlich wirkt es so, als habe Moskaus politische Elite langsam aber sicher das Lager der Klimaskeptiker verlassen. Das ist nicht nur an den Worten von Putin ablesbar. So hat Russland nach jahrelangen Diskussionen Anfang Juli ein eigenes CO2-Gesetz verabschiedet, das die Unternehmen zu regelmäßigen Emissionsberichten verpflichtet und zudem Rahmenbedingungen für einen Handel mit Emissionszertifikaten schafft. Letzteres gilt als eine Voraussetzung dafür, dass Unternehmen überhaupt an der Vermeidung von CO2 interessiert sein könnten. Zudem soll die Regierung unter Premier Michail Mischustin nun bis zum 1. Oktober einen Plan vorlegen, wie Russland bis 2050 CO2-Emissionen reduzieren kann. 
„Eine ganze Reihe von Initiativen zeugt davon, dass Russlands Führung nach jahrelangem Ignorieren nun das Problem der Klimaveränderung ernster nimmt“, meint Tatjana Mitrowa, Energieexpertin und Leiterin des Forschungszentrums für Energie an der Moskauer Skolkovo School of Management. Einer der Gründe für dieses Umdenken liegt auch in der Klimapolitik des Westens. Die globalen Klimaanstrengungen „bergen ein erhebliches Risiko für die russische Wirtschaft“, so Mitrowa.
„Die Energiewende in Europa, aber auch in den USA und China, könnte für Russland kolossale Folgen haben und dem Land bis zu zehn Prozent der Wirtschaftsleistung kosten“, warnte Anatolij Tschubajs, Sondergesandter des Kremls für nachhaltige Entwicklung, bei einer Onlinekonferenz Ende Juli. Bis zu 40 Prozent der Staatseinnahmen würden durch Energieexporte gedeckt, was Russland verwundbar mache.
Das wohl wichtigste, konkrete Warnsignal für die russische Wirtschaft sind die EU-Pläne für eine CO2-Abgabe auf Güter, die nach Europa exportiert werden und bei deren Herstellung hohe Emissionen von Treibhausgas anfallen. Diese Abgabe soll ab 2026 erhoben werden. In Russland werden ab da insbesondere die Stahl- und Aluminiumkonzerne, aber auch Düngemittel- und Zementhersteller sowie Stromerzeuger zur Kasse gebeten. Nach Berechnungen der Boston Consulting Group (BCG) könnten sich die Verluste für russische Exporteure durch die neue Abgabe im Jahr 2026 auf 1,5 bis 3 Milliarden Euro summieren und danach stetig steigen. Darin enthalten ist nicht nur die Abgabe selbst, sondern auch der negative Effekt auf die Nachfrage nach russischen Exportgütern durch die höheren Kosten. Im Jahr 2030 schätzt die BCG die Verluste bereits in einer Bandbreite zwischen 3 und 5,5 Milliarden Euro.
Auf Regierungsebene in Moskau erntete dieser EU-Vorstoß Kritik. Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow zweifelte öffentlich daran, ob die neuen CO2-Abgaben im Einklang mit den WTO-Regeln stehen. Langfristig bestehen jedoch auch unter Experten in Russland kaum Zweifel daran, dass sich Russland fügen muss. „Vieles werde nun davon abhängen, wie sich die russischen Unternehmen in den nächsten Jahren an diese neue Realität anpassen“, erklärt Mikhail Julkin, Leiter der Moskauer Beratung Carbon Lab. Da die Regeln auch für Russlands Konkurrenten auf dem Weltmarkt gelten, könnten russische Unternehmen am Ende verlieren, aber auch gewinnen. Vorausgesetzt, sie können sich besser an die neuen Regeln anpassen als andere Lieferanten.
Bislang sind es vor allem die Unternehmen selbst, die eigene Umweltprogramme vorantreiben, um auf dem Weltmarkt nicht abgehängt zu werden. Der Druck seitens des Staates ist bislang eher gering. Einer der Vorreiter auf dem Gebiet ist der Stahlkonzern Severstal, der sich dazu verpflichtete, die Emissionen von Treibhausgasen bis ins Jahr 2028 um zehn Prozent zu reduzieren. Im vergangenen Jahr investierte Severstal bereits 65 Millionen Euro in Filteranlagen und modernere Energieerzeugung. Das sind fast 50 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Zudem testet das Unternehmen den Einsatz von Wasserstoff bei der Stahlherstellung.
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Der Düngemittel-Hersteller Fosagro plant derweil als eines der ersten russischen Unternehmen eine sogenannte CO2-Farm. Auf einem Areal von 650 Hektar soll ein neues Waldstück bis zu 700.000 Tonnen CO2 jährlich speichern. Insgesamt will der Düngemittelhersteller, der ebenfalls einen beträchtlichen Teil seiner Produkte in die EU liefert, bis zum Jahr 2028 die Emissionen um 14 Prozent reduzieren.
Doch diese Maßnahmen wirken aus Sicht russischer Experten bislang eher wie ein Flickenteppich und nicht wie eine durchdachte Strategie. „Statt einer grünen Transformation strebt Russland nach wie vor danach, seine emissionslastigen und von Kohlenwasserstoffen dominierten Exporte nachhaltig zu sichern, indem es ihre CO2-Fußabdrücke verkleinert“, kritisiert Energieexpertin Mitrowa. Ähnlich sieht es auch Berater Mikhail Julkin. Die bisherigen Pläne seien völlig unzureichend. So wird der Anteil von Wind und Sonne am russischen Energiemix selbst nach den Plänen der Regierung in einem Jahrzehnt nicht höher als 2,5 Prozent betragen. „Für die russische Regierung bleibt noch Zeit, ein eigenes System der Emissions-Regulierung aufzulegen, um die Transformation der Wirtschaft zu fördern. Die Diversifikation der Wirtschaft muss jetzt vorangetrieben werden, bevor es zu spät ist“, so Julkin.
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